Beipackzettel lesen trotz Sehschwäche

Lesehilfen für Sehbehinderte

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Braillezeile mit 18 Zeichenelementen.

Mithilfe von Computerprogrammen und Apps können sich Menschen mit Sehbehinderung weitgehend selbstständig über Arzneimittel informieren. Ein Überblick über nützliche Lesehilfen.

Schätzungen zufolge leben in Deutschland bis zu einer Million Menschen mit einer Sehbehinderung – circa 160.000 Einwohner sind blind. Doch wann genau spricht man von Sehbehinderung und Blindheit? Eine Sehbehinderung liegt vor, wenn der Betroffene trotz Brille oder Kontaktlinsen weniger als 30 Prozent der als normal geltenden Sehstärke aufweist. Bei geringen Graden der Sehbehinderung ist das Lesen von Text noch möglich – eine gewisse Schriftgröße vorausgesetzt.

Die Blindheit ist die am stärksten ausgeprägte Form der Sehbehinderung. Die Sehstärke (Visus) liegt auf dem besser sehenden Auge unter 2 Prozent. Lichtschein ist schwach oder gar nicht mehr erkennbar, das Lesen ist unmöglich. Sind Erkrankungen wie grüner Star (Glaukom), grauer Star (Katarakt), diabetische Retinopathie oder altersbedingte Netzhautschäden für die Sehbehinderung verantwortlich, verschlechtert sich die Sehleistung häufig mit Fortschreiten der zugrundeliegenden Erkrankung. Daneben gibt es angeborene Formen der Sehbehinderung und Blindheit.

Blindenschrift auf Arzneimittelpackungen

Viele Menschen mit Sehschwäche haben eine weitgehend unabhängige selbstständige Lebensführung zum Ziel – auch beim Thema Gesundheit. Patientenorganisationen setzen sich deshalb dafür ein, Gesundheits- und  Arzneimittelinformationen für Menschen mit Sehbehinderung leichter zugänglich zu machen. Mit ersten Erfolgen. Seit 2006 sind Pharmakonzerne verpflichtet, Name und Stärke des Medikaments in Blindenschrift auf die Arzneimittelverpackung zu drucken. Daneben wurden in den letzten Jahren vermehrt elektronische Lesehilfen entwickelt.

Arzneimittelinfos online abrufen oder vorlesen lassen

2010 rief der deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband eine barrierefrei gestaltete Website ins Leben: www.patienteninfo-service.de. Die Anwender geben den Medikamentennamen oder die auf der Arzneimittelverpackung aufgedruckte Pharmazentralnummer (PZN) in das Suchfeld ein, um zum gesuchten Beipackzettel zu gelangen. Patienten können sich den Text oder Abschnitte darauf von einer Computerstimme vorlesen lassen. Eine spezielle Software wird dafür nicht benötigt. Auch ein DAISY-Format (Hörbuch- und Hörzeitschriftenformat) der Beipackzettel steht Nutzern zur Verfügung. Durch DAISY lassen sich Texte strukturieren, sodass der blinde Nutzer darin blättern und schmökern kann als ob er ein gedrucktes Buch in Händen hält. Für das Hören von DAISY-Büchern und -Zeitschriften werden jedoch spezielle Abspielgeräte benötigt.

Neben der Vorlesefunktion bietet die Website die Möglichkeit, die Schriftgröße heraufzusetzen oder den Text in Kontrastschrift anzuzeigen. Allerdings: Nicht zu allen Arzneimitteln sind die Beipackzettel online aufrufbar. Denn die Teilnahme liegt in der Hand der Arzneimittelhersteller und ist freiwillig. Derzeit (Stand April 2016) beteiligen sich 21 Pharmakonzerne an der Website und stellen ihre Arzneimittelinformationen dort ein.

Mit Screenreader das Internet erkunden

Das Erkunden des Internets wird Menschen mit Sehbehinderung durch einen sogenannten Screenreader (Bildschirmleseprogramm) erleichtert. Dabei handelt es sich um speziell für blinde und sehbehinderte Menschen entwickelte Computerprogramme mit Textausgabesystem. Screenreader können die Bildschirminformationen stark vergrößert, akustisch oder über Blindenschrift (Braille-Schrift) wiedergeben. Letzteres geschieht mithilfe eines Brailledisplay (Braillezeile), einem tastaturähnlichen Gerät. Es umfasst 20–80 Tasten (Zeichenelemente), auf deren Oberfläche je acht Punkte angebracht sind. Anordnung und Erhabenheit der einzelnen Punkte werden elektronisch gesteuert und geben pro Zeichenelement einen Buchstaben in Blindenschrift wieder. Der Text wird so für Menschen mit Sehbehinderung erstastbar. Die Widergabe beschränkt sich nicht nur auf den Text: Auch Elemente wie Symbole oder Menüpunkte werden wiedergegeben. Videos, Abbildungen und Animationen lassen sich über Alternativtext darstellen – vorausgesetzt auf der Website ist ein Alternativtext hinterlegt. Die Ausführlichkeit der Wiedergabe ist einstellbar. Bekannte Programme sind etwa „Blindows“, „Orca“, „Window Eyes“, „NonVisual Desktop Access“, „Emacspeak“.

Weitere Unterstützung

Auch am Smartphone verhelfen spezielle Apps zu Arzneimittelinformation. Anwender scannen den Barcode auf der Arzneimittelverpackung ein oder Fotografieren den Beipackzettel, um sich den Text vorlesen zu lassen. Eine Vorlesefunktion bieten etwa die Apps „SayText“ (kostenlos), „Prizmo“ (ca. 10 Euro) oder „TextGrapper“ (Grundversion ca. 1 Euro).

Ganz unabhängig von der Sehstärke finden Arzneimittelanwender einen kompetenten Ansprechpartner in der Apotheke. Über Telefon oder persönlichen Kontakt beraten Apotheker Arzneimittelanwender zur sicheren Einnahme. Gerade für ältere Menschen ein Gewinn: PC und Smartphone sind dazu nicht erforderlich.

Infos zum DAISY-Format finden Sie auf der Website des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands (DBSV)

Bücher in Brailleschrift und CDs im DAISY-Format sind ausleihbar bei der Deutschen Blinden-Bibliothek (DBB).

Packungsbeilagen online lesen oder vorlesen lassen: www.patienteninfo-service.de

Autor*innen

Sandra Göbel | zuletzt geändert am um 10:46 Uhr