Die Darmflora ist seit geraumer Zeit als Dreh- und Angelpunkt für Erkrankungen und Befindlichkeitsstörungen in aller Munde. Kein Wunder, dass Angebote für „persönliche Darm-Ökogramme“ nur so aus dem Boden schießen. Doch was bringt die – meist teure — Bakteriensuche im Stuhl?
Billionen von Keimen im Darm-Dienst
Bis zu 2 kg Bakterien trägt ein Erwachsener in seinem Darm mit sich herum. In Zahlen sind das etwa 80 Billionen Keime, die zu mindestens 500 bis 1000 verschiedenen Arten gehören. Diese Armada von Mikroben spielt eine bedeutende Rolle für den Organismus. Sie unterstützt die Verdauung, produziert Vitamine, neutralisiert giftige Substanzen und trägt zur Immunabwehr bei.
Eine gestörte Darmflora wird deshalb auch immer häufiger mit Erkrankungen in Verbindung gebracht. Typisches Beispiel ist die antibiotika-assoziierte Diarrhö, bei der die natürliche Darmflora durch Antibiotika reduziert und der Darm von krankhaften Keimen überwuchert wird, wodurch es zu Durchfällen kommt. Eine Veränderung der Zusammensetzung der Darmflora (die sogenannte Dysbiose) soll auch z. B. mit Rheuma und Allergien in Zusammenhang stehen – die genauen Krankheitsmechanismen sind aber noch unklar.
Lukrative Darmflora
In letzter Zeit wird die Dysbiose jedoch nicht nur von Ärzten erforscht und diskutiert. Auch geschäftstüchtige Anbieter haben sich des Themas angenommen und versuchen, aus den Darmbakterien Profit zu schlagen. Sowohl Darm-Ökogramme, d.h. Untersuchungen der Darmflora mit Hilfe von Stuhlproben, als auch die danach ausgesprochenen Ernährungsempfehlungen mit Probiotika stehen bei Menschen mit Befindlichkeitsstörungen oder Krankheiten hoch im Kurs. Doch Experten sehen diese „Darm-Ökogramme“ aus mehreren Gründen kritisch:
- Viele Krankheiten können zu einer reduzierten Vielfalt der Darmflora führen. Eine solche reduzierte Diversität des Mikrobioms (so der Fachausdruck für eine verringerte Anzahl von Bakterienarten) ist aber unspezifisch und kein Beweis für eine bestimmte Krankheit. Außerdem ist eine Veränderung der Darmflora nicht immer krankhaft.
- Die von Anbietern solcher Darm-Ökogramme angegebenen „Normbereiche“ und entsprechende Abweichungen davon sind nicht evidenzbasiert (d.h. es gibt keine ausreichenden Studien dazu) und lassen deshalb keine therapeutischen Ernährungsempfehlungen zu.
- Auch die gezielte Suche nach einzelnen „guten“ Stämmen und die daraus resultierende probiotischen Empfehlungen sind fragwürdig, da völlig unklar ist, wie viele solcher guter Bakterien „normal“ sind. •
- Ebenso fraglich ist es, ob die nach einem Darm-Ökogramm empfohlenen Probiotika überhaupt in der Lage sind, sich in im Darm anzusiedeln und die Darmflora nachhaltig zu beeinflussen.
Für die klinische Diagnostik gastrointestinaler Erkrankungen haben Darm-Ökogramme derzeit keinen Stellenwert, resümierte deshalb auch die Gastroenterologin Viola Andresen beim Praxis Update 2020. Ein sinnvoller Einsatz könnte jedoch in Zukunft die fäkale Stuhltransplantation sein, um die Darmflora des Spenders mit der des Empfängers zu vergleichen und dadurch eine passenden Spender zu finden. Menschen jedoch, die der Ursache für Ihre Darmbeschwerden mit einem Darm-Ökogramm auf die Spur kommen wollen, können sich die Kosten für diese Untersuchung besser sparen.
Quelle: Springer Medizin