Mehr gesellschaftliche Teilhabe geplant

Fragen zum Bundesteilhabegesetz

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Firmen, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen, sollen künftig Lohnkostenzuschüsse erhalten.
Das Bundesteilhabegesetz soll Menschen mit psychischen und körperlichen Behinderungen mehr Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Was der Gesetzesentwurf für Betroffene vorsieht, beantwortet Gaby Streib, Juristin bei der Unabhängigen Patientenberatung.

1. Im Dezember 2016 hat der Bundestag das Bundesteilhabegesetz beschlossen. Wann werden die Bestimmungen in Kraft treten, Frau Streib?

Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) vom 23. Dezember 2016 ist nunmehr im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Das Gesetz wird erst stufenweise und zu großen Teilen erst 2018 in Kraft treten. Ab Januar 2017 werden bestimmte Bereiche durch Übergangsvorschriften geregelt, wobei wiederum einzelne Regelungen auch erst nach Abschluss eines Modelvorhabens zum 1. Januar 2023 in Kraft treten sollen.

2. Welche wichtigsten Änderungen bringt das Bundesteilhabegesetz für Menschen mit körperlichen und psychischen Behinderungen mit sich?

Die Rechte behinderter Menschen soll im Allgemeinen gestärkt werden, indem ihre Chancen und Lebensumstände optimiert werden. Hierzu ist geplant, zum einen die finanzielle Lage zu verbessern. Dafür wird die Eingliederungshilfe aus den engen Rahmenbedingungen des Sozialgesetzbuches (SGB) XII (Grundsicherung) gelöst und künftig im SGB IX integriert. Der BTH-Gesetzesentwurf der Bundesregierung sieht dafür Folgendes vor:
  • Leistungen sollen wie aus einer Hand erbracht und zeitintensive Zuständigkeitskonflikte der Träger untereinander sowie Doppelbegutachtungen zulasten der Menschen mit Behinderungen vermieden werden.
  • Die Position der Menschen mit Behinderungen im Verhältnis zu den Rehabilitationsträgern und den Leistungserbringern soll durch eine ergänzende unabhängige Teilhabeberatung gestärkt werden.
  • Die Anreize zur Aufnahme einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sollen auf persönlicher und institutioneller Ebene verbessert werden.
  • Die Möglichkeiten einer individuellen und den persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -gestaltung sollen unter Berücksichtigung des Sozialraumes bei den Leistungen zur sozialen Teilhabe gestärkt werden.
  • Die Leistungen zur Teilhabe an Bildung sollen insbesondere im Hinblick auf studierende Menschen mit Behinderungen verbessert werden.
  • Die Zusammenarbeit der unter dem Dach der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation befindlichen Rehabilitationsträger und die Transparenz des Rehabilitationsgeschehens sollen verbessert werden.
  • Gleichzeitig soll die Steuerungsfähigkeit der Eingliederungshilfe verbessert werden, um keine neue Ausgabendynamik entstehen zu lassen und den insbesondere demographisch bedingten Ausgabenanstieg in der Eingliederungshilfe zu bremsen.
  • Im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) – Grundsicherung für Arbeitsuchende – und im Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) – Gesetzliche Rentenversicherung – sollen präventive Maßnahmen ergriffen und neue Wege erprobt werden, um die Erwerbsfähigkeit von Menschen mit (drohenden) Behinderungen zu erhalten und so Übergänge in die Eingliederungshilfe zu reduzieren.
  • Im Schwerbehindertenrecht soll das ehrenamtliche Engagement der Schwerbehindertenvertretungen gestärkt, sollen Mitwirkungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen verbessert und sollen die besonders schweren Beeinträchtigungen von taubblinden Menschen berücksichtigt werden).“

3. Welche Rolle spielt die Eingliederungshilfe im Rahmen des Sozialgesetzbuches IX? Wer kann Anspruch auf die Eingliederungshilfe erheben?

Die Eingliederungshilfe soll sich künftig auf reine Fachleistungen beschränken. Die notwendige Unterstützung erwachsener Menschen mit Behinderungen wird nicht mehr an einer bestimmten Wohnform, sondern unter Berücksichtigung des notwendigen individuellen Bedarfs ausgerichtet sein. Die Leistungen zum Lebensunterhalt einschließlich Wohnkosten bleiben im SGB XII geregelt. 
Für minderjährige Menschen mit Behinderungen bleiben die bestehenden Regelungen im SGB VII bestehen und werden mit Sonderregelungen weitergeführt.

4. Welche Änderungen bringt das Bundesteilhabegesetz für die Antragsstellung mit sich? Führen diese zu einer verbesserten Leistungsbewilligung für Betroffene?

Der Gesetzgeber beabsichtigt, den Verwaltungsaufwand zu verringern. Statt mehrerer Anträge soll ein Antrag ausreichen. Dafür ist Folgendes angedacht: Der Träger, der die beantragte Leistung prüft, untersucht per Amtsermittlungsgrundsatz, welche weiteren Ansprüche in Betracht kommen. Anschließend leitet er die „Anträge“ an die entsprechenden Träger weiter. Diese prüfen und entscheiden über die Anträge. Doppelbegutachtungen werden dadurch vermieden.

5. Können Leistungsempfänger künftig leichter vom dritten auf den ersten Arbeitsmarkt wechseln?

Durch die Maßnahmen sollen Leistungsempfänger leichter auf den ersten Arbeitsmarkt wechseln können. Geplant ist, dass Arbeitgeber im Einzelfall Lohnkostenzuschüsse bis zu 75 Prozent  erhalten können. Die Dauer richtet sich nach dem Einzelfall. Wie genau die Förderung erfolgt, steht noch nicht fest, da durch Landesrecht von dem Prozentsatz der Bezugsgröße  abgewichen werden kann.

Das Interview basiert auf dem Gesetzesentwurf zum Bundesteilhabegesetz in der Drucksache 428/16 vom 12.08.16 und dem Bundesteilhabegesetz vom 23. Dezember 2016. Aus diesem stammt auch Zitat.

Quelle: UPD

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Autor*innen

Julia Schmidt/Gaby Streib/UPD | zuletzt geändert am um 09:53 Uhr


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