Missbrauch durch Psychotherapeuten
„Wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm wegen einer … Krankheit … zur … Behandlung
oder Betreuung anvertraut ist, … vornimmt oder an sich vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 5
Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (§ 174 StGB)
Dass das Strafgesetzbuch eine so eindeutige Sprache spricht, hat seinen Grund. Bereits der „Vater“
der Psychoanalyse, Sigmund Freud, war sich der Gefahr, die die psychotherapeutische Beziehung mit sich bringt,
bewusst: Psychotherapie hat nur dann Erfolg, wenn der Patient sich offen und vorbehaltlos dem Therapeuten
anvertraut. Dies führt zu einer engen Verbundenheit und zu einer therapeutisch beabsichtigen Reduktion der
Hemmungen und Schutzmechanismen, die sonst im Alltag vorschnelle sexuelle Handlungen verhindern. Daraus
entwickelt sich gleichzeitig eine intensive Abhängigkeit und Verletzbarkeit. Freud forderte daher die absolute
für den Therapeuten. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Mitnichten: Schätzungen gehen von 10 % aller
Psychotherapeuten aus, die im Laufe ihrer Berufstätigkeit mindestens einmal eine sexuelle Beziehung mit
Patientinnen eingehen (weit überwiegend sind es weibliche Patienten). Dies betrifft natürlich nicht nur
Psychiater und Psychotherapeuten – aber bei Gynäkologen, die ebenfalls als gefährdet gelten, ist die Rate mit
etwa 3 % viel niedriger. Dies legt nahe, dass nicht Nacktheit, sondern emotionale Nähe und Bindung für die
sexuellen Grenzüberschreitungen ausschlaggebend sind.
Mittlerweile wurde dieses Tabuthema, in den USA Professional Sexual Misconduct genannt,
auch in Deutschland von Fachkreisen aufgegriffen. Eine geforderte Präventionsmaßnahme ist etwa, dass Psychiater
(die ja immer auch „normale“ Ärzte sind) Patienten, die sie therapieren sollen, nicht körperlich untersuchen,
sondern diese Aufgabe an einen Kollegen delegieren. Ansonsten bleibt zu hoffen, dass die Mühlen der Justiz es
schaffen, straffällige Therapeuten aus dem Verkehr zu ziehen, um zumindest nachfolgende Patienten und
Patientinnen zu schützen.