Placebos – über diese Scheinmedikamente ist heute einiges bekannt: Rote Placebo-Medikamente wirken besser als weiße, zwei Medikamente besser als eines, große Medikamente stärker als kleine. Genaue Anweisungen zur Einnahme („lassen Sie drei Kügelchen drei Minuten lang unter der Zunge zergehen“) wirken besser als pauschale Hinweise („bei Bedarf“). Und wirkstofflose Spritzen sind wirkstofflosen Pillen überlegen. Bei Frauen wirken Placebos stärker als bei Männern, und sie wirken dann besonders gut, wenn sie von einer Frau verabreicht werden. Auch Ausbildung und Erfahrung des Verordnenden spielen eine Rolle. Offenbar ist der Effekt umso stärker, je mehr Vertrauen und Mitgefühl ein Arzt vermittelt.
Nicht nur Medikamente können als Placebos wirken – auch vorgetäuschte Eingriffe (Scheinverfahren) haben eine Placebo-Wirkung. So wirkt in vielen Akupunktur-Studien die Schein-Nadelung genauso gut wie die „echte“ Nadelung.
Definitionsgemäß sind Placebos wirkstofffreie Medikamente, die ohne Wissen des Patienten anstelle eines wirkstoffhaltigen Medikaments gegeben werden. Und doch enthalten Placebos eine Art „Wirkstoff“, nämlich den „Wirkstoff Information“: Hier wird etwas für dich getan, und es wird dir gut tun! Dass es letzten Endes die Erwartung einer Medikamentenwirkung ist, die Placebos wirken lassen, zeigen Studien, nach denen Placebos nur dann wirken, wenn sich der Patient etwas von dem Medikament verspricht – nur wer an die Wirkung glaubt, wird gesund.
Erweiterter Placebo-Begriff
Die Wirkung von Placebos ist aber nicht unbedingt an die Gabe von Placebo-Medikamenten oder das Zelebrieren von Scheinverfahren geknüpft. Studien zeigen, dass Ermunterung und Zuwendung in vielen Fällen fast so gut wie Placebos wirken – was die Frage aufwirft, was nun eigentlich der Kern des Placebo-Effekts ist.
Was Placebos können
Placebos beeinflussen vor allem unangenehme Empfindungen – allen voran das Schmerzempfinden, aber auch Übelkeit oder vegetative Reaktionen wie etwa stressbedingtes Herzrasen. Dass sich durch Placebos auch Emotionen und Stimmungen beeinflussen lassen, zeigt ihre gute Wirkung bei Ängsten. Werden etwa Fotos von misshandelten Kindern gezeigt, so leiden diejenigen Versuchsteilnehmer weniger stark, die mit einem angeblich die Angst dämpfenden Placebo vorbehandelt wurden .
Diese Dämpfung unangenehmer Empfindungen erklärt, warum Placebos bei vielen Krankheiten ähnlich wirken wie „echte“ Medikamente. So lassen sich Kopfschmerzen in 62 % der Fälle, schmerzhafte rheumatische Beschwerden in 58 %, Erkältungssymptome in 45 % und die Reiseübelkeit in 58 % durch Placebos bessern.
Auch Nebenwirkungen treten bei der Therapie mit Placebos auf: Die Patienten in Placebo-Studien berichten vor allem über Schläfrigkeit, Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen.
Was Placebos nicht können
Aber Placebos können nicht alles. Sie beeinflussen vor allem das, was wir spüren, unsere Wahrnehmung also. Blutwerte und die Funktion einzelner Organe können sie allenfalls indirekt beeinflussen. Das bedeutet praktisch, dass Placebos das Krankheitserleben stark beeinflussen können, den Verlauf einer Krankheit selbst aber nur wenig.
Andererseits gibt es Hinweise, dass der Placebo-Effekt sehr wohl heilen kann – dass er also nicht nur hilft, unsere Beschwerden anders zu interpretieren, sondern auch einen organischen Heilungsprozess in Gang setzen kann. So heilen etwa Magengeschwüre nach Placebogabe schneller als ohne. Placebos scheinen demnach unsere Selbstheilungskräfte aktivieren zu können, insbesondere dadurch, dass sie das Immunsystem aktivieren und stärken
Dass uns der Placebo-Effekt nicht einfach eine rosarote Brille aufsetzt, zeigen Untersuchungen des Gehirns. Funktionelle Kernspinuntersuchungen (fMRT) etwa zeigen, wie sich nach der Gabe eines Placebos der Gehirnstoffwechsel im präfrontalen Kortex ändert – einer Hirnregion, die unsere Motivation beeinflusst, indem sie andere Gehirngebiete ausschaltet oder anregt. Im Zusammenhang mit der Gabe von Placebos lassen sich vor allem zwei, vom präfrontalen Kortex ausgehende, Fernwirkungen beobachten:
- Zum einen werden in den mit der Schmerzverarbeitung befassten Gehirngebieten Endorphine ausgeschüttet – körpereigene Boten- und Wirkstoffe, die das Schmerzerleben dämpfen.
- Zum anderen haben Placebos einen Einfluss darauf, wie viel Dopamin im Gehirn ausgeschüttet wird. Dieser Botenstoff wird immer dann gebildet, wenn eine Belohnung zu erwarten ist, weshalb Dopamin auch als „Motivationsbotenstoff“ bezeichnet wird. Nach Erreichen eines Ziels dagegen versiegt die Dopaminproduktion – Dopamin belohnt uns also für den Anstieg, nicht für das Erreichen des Gipfels. Und das passt zur Wirkung von Placebos: Das Placebo verspricht Heilung – und die wirkt im Gehirn anscheinend wie eine in Aussicht gestellte Belohnung.
Vieles spricht zudem dafür, dass durch den Placebo-Effekt auch die Stressreaktion des Körpers gedämpft wird. Der Kranke erwartet, dass das gegebene Mittel hilft, und das sorgt für Entspannung. Es könnte sein, dass es dieser Anti-Stress-Effekt ist, über den Placebos auch zur Selbstheilung beitragen können.
Und der „Sinn“ des Ganzen?
Von der Evolution her gedacht stellt der Placeboeffekt für den „bewusst leidenden“ Menschen ein sinnvolles Dämpfungs- und Motivationssystem dar, das ihm hilft, mit bedrohlichen Erfahrungen und Gefühlen fertig zu werden:
- Der von Placebos vermittelte Dämpfungseffekt hilft ihm, Schmerzen, Ängste und andere unangenehme Gefühle zu überwinden und damit Energie zu sparen, die anderweitig besser genutzt werden kann.
- Indem er sein inneres Motivations- und Belohnungssystem anzapft, kann der Mensch Kraft schöpfen, um Krankheiten und Verletzungen rascher zu überwinden.
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