Schultereckgelenkverrenkung (Acromioclaviculargelenkluxation, ACG-Luxation, Schultereckgelenksprengung): Verrenkung des Gelenks zwischen dem Schulterdach (Acromion) und dem Schlüsselbein (Clavicula) durch Zerrung oder Zerreißen seines stabilisierenden Kapsel-Band-Apparats. Ursache ist meist ein Sturz auf die Schulter oder auf den ausgestreckten Arm, z. B. bei einem Reit-, Fahrrad- oder Skateboardunfall. Bemerkbar macht sich die Schultereckgelenkverrenkung durch Schmerzen im Schulterbereich, meist wird der betroffene Arm, unterstützt vom gesunden Arm, zur Schonung eng am Körper gehalten. Die Behandlung ist in der Regel konservativ, nur in schweren Fällen werden Schulterdach und Schlüsselbein operativ zusammengefügt. Die Verletzung hinterlässt normalerweise keine bleibenden Beschwerden oder Funktionseinbußen.
- Starke Schmerzen über dem Schultergelenk (am seitlichen Ende des Schlüsselbeins)
- Schwellung im Bereich der Schulter, die sich bis auf den Oberarm ausbreiten kann, evtl. auch ein Bluterguss
- Schmerzhafte Bewegungseinschränkung von Schulter und Arm, Schonhaltung
- Sichtbarer Hochstand des Schlüsselbeins am äußeren Ende.
In den nächsten Tagen, wenn
- sich leichtere Beschwerden im Bereich des Schultereckgelenks nicht zusehend bessern.
Noch am selben Tag, wenn
- eine ausgeprägte Schwellung, starke Schmerzen oder ein sichtbarer Hochstand des Schlüsselbeins am Schultereckgelenk bestehen.
Das Schulterdach (Acromion) an der oberen, äußeren Spitze des Schulterblatts und das äußere Ende des Schlüsselbeins (Clavicula) sind durch das Schultereckgelenk miteinander verbunden. Kräftige Bänder verstärken die Gelenkkapsel, zusätzlich ziehen noch weitere Bänder vom Schulterblatt zum Schlüsselbein. Für die Gelenkstabilität besonders wichtig sind das Band zwischen Schulterdach und Schlüsselbein (Ligamentum acromioclaviculare) und das Band zwischen Rabenschnabelfortsatz und Schlüsselbein (Ligamentum coracoclaviculare).
Obwohl das Schultereckgelenk durch diese kräftigen Bänder recht gut geschützt ist, kann es durch Stürze auf die Schulter oder auf den ausgestreckten Arm zu Schaden kommen. Je nach Schwere der Gewalteinwirkung sind Kapsel und Bänder nur gezerrt oder aber – teilweise oder vollständig – gerissen. Als Folge der Verletzung zieht die Halsmuskulatur das Schlüsselbein nach oben und verursacht das typische Symptom des Claviculahochstands. Schulterblatt und Arm verschieben sich dagegen unter dem Zug der Brustmuskulatur und dem Gewicht des Arms nach unten und vorne.
Klinik
Da bei nahezu jeder Armbewegung auch Bewegungen im Schultereckgelenk stattfinden, führt die Verletzung zu einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung des Arms. Typischerweise können die Betroffenen den Arm nicht über den Kopf heben, auch das seitliche Anheben ist sehr schmerzhaft. Zur Schonung des Arms wird dieser meist nach innen gedreht, am Körper angelehnt und unterstützt vom gesunden Arm getragen.
Die Ärzt*in stellt die Diagnose anhand der Beschwerden und des gegebenenfalls sicht- und tastbaren Claviculahochstands. Beim typischen Klaviertastenphänomen lässt sich das hochstehende Schlüsselbein herunterdrücken und schnellt anschließend durch den Zug der Halsmuskulatur wieder nach oben.
Röntgenaufnahmen in 2 Ebenen sichern die Diagnose. Im Zweifel wird auch eine Belastungsaufnahme veranlasst, die allerdings recht schmerzhaft ist. Dabei werden die Handgelenke der Patient*in mit einem Gewicht von 5 bis 10 kg beschwert, wodurch der Arm nach unten gezogen und ein eventuell vorher nicht erkannter Claviculahochstand erst sichtbar wird.
Der im Röntgenbild erkennbare Grad des Claviculahochstands spiegelt das Ausmaß der Bandverletzung wider: Bei einer bloßen Zerrung von Kapsel und Bändern beträgt er nur wenige Millimeter, bei einem teilweisen Bandriss etwa 0,5–1 cm (halbe Schlüsselbeinbreite). Ein Abstand von über 1 cm (~ ganze Schlüsselbeinbreite) spricht für eine vollständige Zerreißung aller Bandstrukturen.
Auch mit Ultraschall lässt sich eine Schultereckgelenkssprengung diagnostizieren. Mit dieser Methode erkennt die Ärzt*in gleichzeitig, ob es zu Einblutungen im Gelenkbereich gekommen ist und ob die Rotatorenmanschette mitbetroffen ist.
Klassifikationen nach Tossy oder Rockwood
Für die therapeutisch wichtige Einteilung der Schultereckgelenksverletzungen gibt es verschiedene Klassifikationen, am gebräuchlichsten sind die nach Tossy und die nach Rockwood. Die Klassen I bis III stimmen bei beiden Klassifikationen überein und beurteilen den Zustand der beiden wichtigsten Bänder, dem Ligamentum (= Band, abgekürzt Lig.) acromioclaviculare und dem Lig. coracoclaviculare. Die Rockwood-Klassifikation definiert zusätzlich 3 weitere, kompliziertere Schweregrade mit seltenen Kombinationen von Bandzerreißungen am Schultereckgelenk.
- Tossy/Rockwood I: Überdehnung der beiden Bänder
- Tossy/Rockwood II: Riss des Lig. acromioclaviculare und Dehnung des Lig. coracoclaviculare, die Gelenkfläche von Schulterdach (Acromion) und Schlüsselbein (Clavicula) berühren sich noch teilweise
- Tossy/Rockwood III: beide Bänder gerissen, kein Kontakt mehr zwischen Schulterdach und Schlüsselbein
- Rockwood IV bis VI: Wie Tossy/Rockwood III, aber mit zusätzlichen Bandverletzungen und Abrissverletzungen von Schultermuskeln.
Differenzialdiagnosen. Ähnliche Beschwerden verursachen vor allem die Schulterverrenkung und der Schlüsselbeinbruch.
Je nach Ausmaß der Verletzung wird die Schultereckgelenkverrenkung konservativ durch Ruhigstellung behandelt oder operiert. Ein Kriterium für die Operation ist der Grad der Verletzung nach Tossy oder Rockwood. Auch das Alter der Patient*in, das Operationsrisiko und die Wünsche bezüglich des funktionellen Operationsergebnisses fließen in die Therapieempfehlung mit ein.
Tossy/Rockwood I: Eine Zerrung wird konservativ, also ohne Operation behandelt – mit körperlicher Schonung, Kühlung und entzündungshemmenden Medikamenten wie Diclofenac (z. B. Voltaren® oder Diclac®). Starke Beschwerden bessern sich oft durch eine mehrtägige Ruhigstellung in einem Schulter-Arm-Verband wie dem Gilchrist-Verband.
Tossy/Rockwood II: Bei einem Teilriss der Bänder behandeln die Ärzt*innen ebenfalls meist konservativ. Hier wird die Schulter länger, in der Regel für etwa ein bis zwei Wochen ruhiggestellt, um die Schmerzen zu lindern und die Heilung zu fördern. In manchen Fällen, z. B. bei sportlich sehr aktiven Menschen oder Über-Kopf-Arbeitern wie Elektrikern kann auch die Operation in Frage kommen. Ebenso wird operiert, wenn nach mehr als 3 Monaten konservativer Behandlung keine Heilungstendenz erkennbar ist.
Tossy/Rockwood III: Sind die beiden oben genannten Bänder vollständig zerrissen, empfehlen die Ärzt*innen insbesondere bei jungen Menschen unter 35 Jahren, die körperlich sehr aktiv sind oder oft Überkopfarbeiten ausführen, die Operation. Bei alten Menschen mit einer solchen Verletzung wird eher zur konservativen Therapie tendiert, da das eventuell bessere funktionelle Ergebnis durch eine Operation das im fortgeschrittenen Alter erhöhte Operationsrisiko nicht immer aufwiegt.
Rockwood IV bis VI: Bei diesen seltenen komplizierten Verletzungen wird in aller Regel operiert.
Operation
Ziel der Operation ist die Rekonstruktion einer normalen Gelenkstellung, um einen späteren Gelenkverschleiß zu vermeiden. Es stehen sowohl offene als auch arthroskopische Operationsverfahren zur Verfügung. Als Nachteil der offenen Operation gilt die kosmetisch oft störende Narbenbildung.
Bei der Operation reicht es nicht aus, die gerissenen Kapsel- und Bandstrukturen zu nähen. Die frischen Nahtverbindungen würden die großen Kräfte nicht aushalten, die Schulterblatt und Schlüsselbein auseinanderziehen. Bis die Bänder fest verheilt und belastbar sind, ist deshalb eine kräftige Verbindung zwischen Schulterblatt und Schlüsselbein erforderlich. Am häufigsten verwenden die Operateur*innen dazu ein sich selbst auflösendes Band oder eine entsprechende Kordel, die sie um Rabenschnabelfortsatz und Schlüsselbein schlingen. Alternativ werden die beiden Knochen vorübergehend verdrahtet, verschraubt oder über eine Platte verbunden. Die eingebrachten Metallstücke verbleiben etwa ein halbes Jahr im Körper.
Nachbehandlung. Nach der Operation ist es nur für einige Tage erforderlich, die betroffene Schulter ruhig zu stellen. Anschließend beginnt die Physiotherapie, zunächst mit passiven Bewegungen, später kommen aktive Bewegungen ohne Belastung hinzu. Dabei ist es innerhalb der ersten sechs Wochen noch nicht erlaubt, den operierten Arm über die Horizontale zu heben. Nach etwa 12 Wochen darf die Patient*in mit dem Kraftaufbau beginnen und den Arm mit Belastung bewegen. Falls implantiertes Metall entfernt werden soll, geschieht dies frühestens nach 6 bis 8 Wochen.
Sowohl bei der konservativen als auch bei der operativen Behandlung ist das Ergebnis meist gut, nach 3 bis 4 Monaten darf die Schulter meist wieder voll belastet werden. Langfristig droht jedoch bei jeder dritten operierten und jeder zweiten konservativ behandelten Patient*in eine Arthrose des Schultereckgelenks.
Was Sie selbst tun können
Erste Hilfe. Falls Sie nach einem Sturz auf die Schulter starke Schmerzen und/oder eine Schwellung entwickeln, beginnen Sie sofort, den verletzten Bereich zu kühlen. Je früher gekühlt wird, desto weniger schwillt die Schulter an. Beim Transport zur Ärzt*in ist es zudem empfehlenswert, den verletzten Arm in angewinkelter Stellung vorsichtig mit einem Tuch oder Kleidungsstück am Körper zu fixieren.
Schonung. Egal ob Sie konservativ behandelt oder operiert wurden – die Schonung der Schulter ist zunächst oberstes Gebot. Halten Sie sich in puncto Bewegung genau an die Maßgaben der Ärzt*in oder Physiotherapeut*in, damit die Verletzung gut ausheilen kann.
Krankengymnastik. Krankengymnastik kräftigt die Muskulatur, die die Schulter umgibt und führt. Führen Sie die vom Physiotherapeut*in gelernten Übungen möglichst exakt und regelmäßig aus.
Sport. Wann und welcher Sport nach einer Schultereckgelenksverrenkung erlaubt ist, entscheidet Ihr Arzt oder Ihre Ärztin je nach individueller Verletzung. Bei einer Zerrung darf der Sport meist nach etwa 2 Wochen, nach einem teilweisen Bänderriss nach etwa 5 bis 6 Wochen wieder aufgenommen werden. Sportarten, bei denen die Schulter besonders stark belastet wird (Handball, Volleyball, Speerwerfen) oder Kontaktsportarten sind frühestens nach 3 Monaten wieder erlaubt, viele Ärzt*innen verbieten sie auch für ein halbes Jahr.