Einfach weniger essen und mehr Sport machen” - solche gutgemeinten Ratschläge reichen oft nicht aus, um Übergewicht langfristig zu reduzieren. Denn Schuld am Übergewicht ist häufig nicht ein Mangel an Disziplin. Stattdessen sind die überschüssigen Kilos Folge eines komplizierten Zusammenspiels aus Veranlagung, Umwelt, Psyche und dem sozialem Umfeld.
Veranlagung. Mit Sicherheit spielen die Gene bei der Entstehung von Übergewicht eine Rolle. Aus Zwillingsstudien ist bekannt, dass die erbbedingten Anlagen (genetische Einflüsse) etwa die Hälfte des Unterschieds im Körpergewicht zwischen verschiedenen Menschen ausmachen. Insgesamt hat ein Kind mit einem übergewichtigen Elternteil eine etwa 50%-ige Wahrscheinlichkeit, im späteren Leben selbst übergewichtig zu werden, das von zwei übergewichtigen Eltern eine 80%-ige. Der Einfluss der Mutter ist dabei etwas stärker als der des Vaters – was auch zeigt, dass die Gene nicht alles sind, sondern dass auch die Umwelt ein Wörtchen mitredet.
Es gibt heute keinen Zweifel, dass der Volksmund, der schon lange gute und schlechte „Futterverwerter“ kennt, recht hat: Manche Menschen bleiben selbst bei üppiger Nahrungszufuhr mager, während andere rascher Fett ansetzen. In einem Experiment mit Freiwilligen konnten Forscher zeigen, dass bei einer erzwungenen Überernährung von über 6 000 Kalorien pro Tag manche Versuchsteilnehmer rasch über 10% ihres Körpergewichts zulegten, während sich bei anderen das Gewicht selbst nach einem Monat kaum veränderte Hinter der unterschiedlichen Futterverwertung steckt ein Bündel möglicher Ursachen:
- Unterschiede in der Regulierung des Appetits. Schon beim chemischen Signalempfang im Appetitzentrum des Gehirns reagiert ein Teil der extrem Übergewichtigen deutlich anders als der Normalgewichtige.
- Unterschiede im Stoffwechsel. Es gibt Hinweise, dass sich bei adipösen und nicht adipösen Menschen die Konzentration bestimmter Eiweißstoffe (der uncoupling proteins) in den Körperzellen unterscheidet. Diese beeinflussen, welcher Anteil der Nahrungsenergie als Wärme verpufft, anstatt als Fett abgespeichert zu werden.
- Nach neueren Untersuchungen könnte auch die Darmflora bei der unterschiedlichen Futterverwertung eine Rolle spielen: So hat die Zusammensetzung der Bakterienflora nachweislich einen Einfluss darauf, wie viel Gewicht der Einzelne bei einer Diät verliert
- Unterschiedliches Bewegungsverhalten. Schon Neugeborene zeigen ein sehr unterschiedliches spontanes Bewegungsverhalten, und Kinderärzte berichten, dass manche Säuglinge im ersten Lebensmonat fast doppelt so viel Säuglingsmilch trinken wie andere – und trotzdem nicht unbedingt schneller zunehmen. Und so könnte das Klischee der quirligen Schlanken und der gemütlichen Dicken tatsächlich eine Entsprechung im Bewegungsverhalten der Menschen haben.
Umwelt. Damit Übergewicht bei einem Menschen entsteht, bedarf es neben der genetischen Veranlagung auch umweltbedingter Einflüsse. Und die stehen im Falle der Adipositas zweifelsfrei fest: zu üppige Ernährung (Überernährung) und Bewegungsmangel. Wie stark ihre Wirkung ist, zeigt die Tatsache, dass Adipositas in Kriegs- und Hungerzeiten kaum beobachtet wurde und dass die Deutschen noch vor 30 Jahren weitaus schlanker waren als heute. Gene können sich jedoch von einer Generation zur nächsten nicht nennenswert ändern.
Welcher der beiden Umwelteinflüsse, Bewegungsmangel oder Überernährung, trägt mehr zu dem Übergewichtsproblem unserer Gesellschaft bei? In Einzelfällen lässt sich das oft leicht beantworten: Jeder kennt einen Übergewichtigen, der nach der Arbeit im Büro zwar ein gesundes Mahl verzehrt, aber danach einfach nur noch vor dem Fernseher „abhängt“. Klare Diagnose: Bewegungsmangel. Und natürlich kennt man auch einen Übergewichtigen, der immer mit einem Bissen im oder knapp vor dem Mund herumläuft, dabei aber auch ganz gerne einmal mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt. Egal ob im Einzelfall die Bewegung oder die Ernährung die Nase vorne hat: Bei der Überernährung handelt es sich in aller Regel nicht um eine Essstörung! Letztere kommen in der industrialisierten Welt zwar auch immer häufiger vor und in Einzelfällen kann eine Essstörung wie Bulimie langfristig zu einem Übergewicht führen. Essstörungen haben aber insgesamt andere Ursachen als das Übergewicht und betreffen vornehmlich junge Frauen.
Soziale Einflüsse. Um unter heutigen Bedingungen schlank zu bleiben, muss man entweder von der Natur ein gutes Blatt Karten auf die Hand bekommen haben oder es gelingt einem, Bewegung zu einem wichtigen Hobby zu machen und sich gesund zu ernähren. Während man für Ersteres wenig tun kann, erfordern die letzten beiden Strategien einiges an Einsicht, Kraft und sonstige – psychische wie soziale – Ressourcen. Und gerade diese sind in vielen Fällen nicht vorhanden. Was wir essen und wie viel wir uns bewegen, hängt stark davon ab, in welcher sozialen Schicht wir leben, wie ihre Traditionen und die von ihr vermittelten Lebensentwürfe aussehen. Bei Erwachsenen sind Mitglieder der benachteiligten Schichten etwa dreimal häufiger von Übergewicht betroffen als die übrige Bevölkerung. Und damit kommt der Druck aus zwei Richtungen: Zum einen leben die Menschen in einer zunehmend übergewichtsfördernden Umwelt, zum anderen leben viele von ihnen in sozialen Zusammenhängen, in denen gesundheitsbewusstes Verhalten nicht zum vorgesehenen oder tradierten Lebensstil gehört. Die Epidemie des Übergewichts ist damit zumindest teilweise ein Spiegel des sozialen Wandels.
Psychische Ursachen. Übergewichtige Menschen sind in der Tat psychisch stärker belastet als Normalgewichtige. Allerdings sind die psychischen Probleme oft nicht die Ursache, sondern die Folge des Übergewichts. Auch leben übergewichtige Menschen häufiger in sozialen Randschichten, was allein schon psychische Probleme hervorruft – unabhängig vom Körpergewicht. Deshalb gilt: Psychische Faktoren können an der Entstehung der Adipositas beteiligt sein, sie erklären aber bei Weitem nicht alle Fälle: Manche Menschen neigen unter Stressbedingungen zum Überessen, anderen verschlägt es eher den Appetit. Folgende psychische oder psychosomatische Faktoren können aber in Einzelfällen das Übergewicht mit verursachen:
- Störung des Sättigungsgefühls: Der Betroffene fühlt nicht, dass er satt ist.
- Essen aus Frustration: Im Rahmen psychischer Krisen kann Essen als „psychischer Füllstoff“ verwendet werden („Kummerspeck“).
- Essen als Ersatzhandlung: In dysfunktionalen Familien wird möglicherweise die emotionale Zuwendung durch orale Zuwendung ersetzt.
Dass Dicke unglücklicher sind, wird oft behauptet, ist aber so leicht gar nicht zu beantworten. Klar scheint die Aussage für extreme Formen der Adipositas zu sein: Hier ist die Lebensqualität durchgängig vermindert Schon schwieriger ist es bei den weniger extremen Formen. Dicke berichten zwar im Durchschnitt über eine geringere Lebensqualität aber wenn man andere Lebensfaktoren berücksichtigt, so schwächt sich der Zusammenhang deutlich ab. Bei einem hohen BMI ist die Lebensqualität zwar durchgehend schlechter, wurde aber berücksichtigt, wie viel sich die Betroffenen bewegten, so zeigte sich, dass die Bewegung für die Lebensqualität entscheidender ist als das Körpergewicht
Fazit: Dicke sind mit ihrem Leben genauso zufrieden wie Dünne, solange sie nur fit sind und nicht zu den extrem Dicken gehören.
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